Evergrande Pleite – nur ein lokaler Brandherd oder schwere Folgen für die Wirtschaft?
Chinas größter und hoch verschuldeter Immobilienkonzern Evergrande ist Geschichte – zumindest wenn es nach dem Willen eines Gerichts in Hongkong geht, dass die Liquidation des Unternehmens angeordnet hat. Damit findet der seit knapp 2 Jahren andauernde Überlebenskampf des Unternehmens ein Ende. Die Sorgen um Chinas angeschlagenen Immobiliensektor werden durch die Liquidation dabei eher verstärkt. Dennoch gehen Experten davon aus, dass die Auswirkungen für den Moment eher begrenzt sein werden.
Das Wichtigste im Überblick:
- Gericht ordnet Liquidation aufgrund nicht existentem Restrukturierungsplan an
- Auswirkungen auf den chinesischen Immobilienmarkt sind erheblich, auch andere Unternehmen schwanken
- mehr als 400 chinesische Banken direkt oder indirekt von der Liquidation betroffen
- Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft noch nicht absehbar
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Gericht ordnet Liquidation des Immobilienkonzerns Evergrande an
Für zahlreiche Fachleute war es lediglich eine Frage der Zeit, bis sich das abzeichnete, und nun wurde der Vollzug verkündet: Die China Evergrande Group, der größte Immobilienentwickler Chinas und weltweit das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen, wird liquidiert. Diese Entscheidung wurde am Montag von einem Gericht in Hongkong getroffen und markiert das Ende eines mehr als zweijährigen Tauziehens um das mit über 300 Mrd. Dollar verschuldete Unternehmen. Die Unfähigkeit des Immobilienunternehmens, in anderthalb Jahren einen konkreten Restrukturierungsplan vorzulegen, trug maßgeblich zu diesem Beschluss bei.
Dieses Ereignis markiert ein weiteres Kapitel in der chinesischen Immobilienkrise und stellt einen zusätzlichen Rückschlag für die bereits angeschlagene Konjunktur des Landes dar. Die Börsen in China verzeichnen seit Monaten einen Abwärtstrend, und selbst die von der chinesischen Regierung angeordneten Stützungskäufe vermögen daran, kaum etwas zu ändern.
Nicht nur die Immobilien-Branche ist vom Kollaps bedroht, auch Banken droht Ungemach
Die Frage, die nun viele Beobachter beschäftigt, lautet: Wird die Krise bei Evergrande isoliert bleiben, oder zieht das Unternehmen weitere Immobilienentwickler mit sich nach unten? Die Gefahr besteht, da auch andere börsennotierte Baukonzerne wie China State Construction und Country Garden Schulden von weit mehr als 250 Mrd. Dollar haben und Schwierigkeiten haben, ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber Banken und Anlegern nachzukommen. Weltweit rechnen Analysten daher damit, dass die Auflösung von Evergrande höchstwahrscheinlich früher als später Auswirkungen auf weitere Baukonzerne und die generell angeschlagenen Märkte in China haben wird.
Hinzu kommt die Besorgnis, dass rund 400 chinesische Banken durch die laufenden Kredite an Evergrande in Schieflage geraten könnten. Aktuell scheinen die Börsen in Asien jedoch weniger belastet zu sein als angenommen. Die Nachricht von der Evergrande-Liquidation führte am Montag nicht zu dem erwarteten Domino-Effekt an den Börsen. Obwohl die Evergrande-Aktie einbrach, verzeichnete die Börse in Shanghai lediglich einen Verlust von knapp einem Prozent, ebenso wie der Index der wichtigsten Unternehmen in Shanghai und Shenzhen.
Dies deutet eindeutig darauf hin, dass Investoren die Pleite von Evergrande und die nun angeordnete Liquidation des Unternehmens bereits eingepreist haben. Diese Entwicklung ist nicht überraschend, da Evergrande aufgrund seiner Milliardenschulden im Ausland bereits seit Jahren als finanziell instabil galt. Die Märkte hatten also ausreichend Zeit, sich auf dieses Szenario vorzubereiten. Zudem hat die Regierung in Peking angekündigt, den schwächelnden Aktienmarkt mit rund 300 Mrd. US-Dollar zu stützen.
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Was bedeutet die Evergrande Liquidation für Anleger mit Investitionsschwerpunkt China?
Dennoch bleibt der chinesische Aktienmarkt für ausländische Investoren eine zunehmend undurchsichtige Risikounternehmung. Die gigantische Immobilienblase, die finanziellen Verflechtungen der Banken mit der Immobilien-Branche, Deflation, hohe Jugendarbeitslosigkeit, schwaches Wachstum und eine alternde Bevölkerung sind Signale, die Anleger keinesfalls außer Acht lassen sollten.
Dabei sind viele dieser Probleme das Ergebnis einer fehlgeleiteten Wirtschafts- und Industriepolitik. China dient hier als Paradebeispiel für die Schwächen eines übergriffigen und planwirtschaftlich organisierten Staates: Städte und Kommunen finanzieren sich durch Landverkäufe, was den Immobilienmarkt aufbläht. Die schrumpfende Bevölkerung wiederum ist teilweise das Resultat jahrzehntelanger Ein-Kind-Politik. Die Entkopplung von westlichen Volkswirtschaften wird es China erschweren, Innovationen und somit inländisches Wachstum zu generieren. Strenge Regulierungen haben den Privatsektor geschwächt, und Chinas Staatsbetriebe sind nicht gerade für ihre Innovationsfähigkeit bekannt.
Für Anleger bleibt somit der chinesische Aktienmarkt eine riskante Wette. Die Entscheidungen im Regierungsapparat Pekings sind für Außenstehende kaum wirklich zu beurteilen. Eine antizyklische Argumentation könnte dennoch ins Spiel kommen: Seit Ende 2020 sind die Bewertungen um fast die Hälfte gesunken. Investoren mit entsprechendem Mut und vor allem einem langfristigen Anlagehorizont könnten am Ende durchaus von einer Trendwende profitieren. Eine Garantie dafür besteht jedoch nicht.
Und die Folgen für die Wirtschaft?
Fakt ist, dass China für zahlreiche Unternehmen aus aller Welt einen bedeutenden Absatzmarkt darstellt. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus dem Jahr 2022 war allein die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China so groß wie nie zuvor. Das Handelsdefizit mit China hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt und betrug mehr als 84 Milliarden Euro. Besteht hier also eine real existierende Gefahr für die deutsche Wirtschaft? Was bewerten Experten die aktuelle Situation?
Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sieht in einer weiteren Schwächung der chinesischen Wirtschaft auch für Deutschland ein größeres Risiko.
„Die Erholung der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr hängt stark von der Entwicklung der Exporte ab und mit der Schwäche Chinas dürfte sich die Hoffnung auf einen positiven Impuls erst einmal nicht erfüllen“.
Etwas weniger besorgt äußert sich Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) :
„Weniger Wachstum in China bedeutet tendenziell auch schlechtere Absatzperspektiven für deutsche Exporteure und deutsche Firmen vor Ort. Aber da die chinesische Wirtschaft ohnehin für ihre Verhältnisse schwächelt, dürfte die Wirkung des zusätzlichen Dämpfers durch Evergrande überschaubar bleiben“
Was bleibt als Fazit?
Die Immobilienkrise in China erreicht mit der Evergrande-Liquidation zweifelsohne eine neue Stufe. Das Hongkonger Gerichtsurteil, das die Liquidation von Evergrande besiegelt, ist dabei vielleicht aber auch erst der Anfang vom Ende: Denn viel hängt jetzt erstmal davon ab, ob die Gerichte in China das Urteil aus Hongkong akzeptieren, was dem Sonderstatus von Hongkong, das nach wie vor ein gesondertes Rechtssystem hat, liegt.
Die Gerichte in China können das Urteil akzeptieren, müssen es aber nicht. Entscheidend ist hier also, ob und wie die Kommunistische Partei nun reagiert. Dabei steht vor allem das Vertrauen in chinesische Vermögenswerte, die in Hongkong gehandelt werden, auf dem Spiel. Denn im schlimmsten Fall gehen ausländische Investoren, die Evergrande Anleihen über die Börse in Hongkong erworben haben, leer aus.
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Weiterführende Quellen und Links
Immobilienkrise China: Evergrande-Liquidation nur der Anfang
Evergrande-Pleite könnte „deutsche Unternehmen auf Umwegen betreffen“