Wasserstoffmarkt im Wandel: Zwischen Herausforderungen und Chancen
Die globale Energiewende steht an einem kritischen Wendepunkt, wobei Wasserstoff als Schlüsseltechnologie zur Dekarbonisierung der Industrie zunehmend in den Fokus rückt. Nach Jahren der Ernüchterung mit deutlichen Kursverlusten bei Wasserstoffaktien zeichnet sich 2024 erstmals wieder eine positive Trendwende ab. Doch die bevorstehende politische Neuausrichtung in den USA, insbesondere im Hinblick auf den Inflation Reduction Act von 2022, die wichtigen Anreize für sauberen Wasserstoff vorsieht, sorgt für neue Unsicherheiten im Markt.
Das Wichtigste im Überblick:
- Nach drei Verlustjahren verzeichnet der Wasserstoff-Sektor 2024 ein Plus von 6,28% in Euro, wobei besonders Energie- und Grundstoffunternehmen zur positiven Entwicklung beitragen
- Die IEA prognostiziert einen massiven Anstieg der weltweiten Wasserstoffnachfrage auf 430 Millionen Tonnen bis 2050, was einer Verfünffachung gegenüber 2022 entspricht
- Industriegasunternehmen dominieren mit etwa 50% Marktanteil den Sektor, jedoch werden viele Aktien derzeit über ihrem fairen Wert gehandelt
- Die EU plant bis 2030 eine Wasserstoffversorgung von 20 Millionen Tonnen, wovon 10 Millionen Tonnen aus heimischer Produktion stammen sollen
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Erste Anzeichen der Markterholung
Die Erholung des Wasserstoffmarktes lässt sich dabei durchaus mit konkreten Zahlen beziehungsweise Auswertungen belegen. Der Morningstar Global Hydrogen Index, der verschiedene Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette abbildet, verzeichnet seit Jahresbeginn einen Zuwachs von 6,28% in Euro (4,86% in US-Dollar). Besonders bemerkenswert ist die Performance des US-Versorgers Entergy (WKN: 903834 / ISIN: US29364G1031), dessen Aktie um 47,25% zulegte und damit 2,28 Prozentpunkte zum Index-Plus beisteuerte. Das Unternehmen profitiert dabei von der steigenden Stromnachfrage und strategischen Investitionen in saubere Energien und Netzinfrastruktur.
Im extremen Gegensatz dazu steht der US-Brennstoffzellenhersteller Plug Power (WKN: A1JA81 / ISIN: US72919P2020), dessen Aktienkurs um 46,63% einbrach und die Index-Performance um 2,23 Prozentpunkte belastete. Die anhaltenden Cash-Burn-Rate des Unternehmens verdeutlicht die Herausforderungen, denen reine Wasserstoff-Technologieunternehmen gegenüberstehen.
Industriegase als Schlüssel zur Transformation
Diese Dominanz der Industriegasunternehmen im Wasserstoffsektor basiert auf ihrer etablierten Marktposition und technologischen Expertise. Die drei Branchenführer:
Aktie | ISIN | Performance 1 Jahr | Performance 3 Jahr | Performance 5 Jahre | |
---|---|---|---|---|---|
Air Liquide | FR0000120073 | 1,6% | 32,9% | 63,3% | |
Air Products & Chemicals | US0091581068 | 21,3% | 14,6% | 44,0% | |
Linde | IE000S9YS762 | 11,0% | 42,9% | 126,8% | |
Quelle: comdirect.de / Stand: 11.2024 |
kontrollieren gemeinsam etwa 50% des globalen Industriegasmarktes. Diese Unternehmen sind optimal positioniert, um die verschiedenen Wasserstoff-Produktionspfade – von grauem über blauen bis hin zu grünem Wasserstoff – zu bedienen.
Die Unterscheidung dieser Produktionspfade ist dabei entscheidend: Grauer Wasserstoff wird durch Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen, während bei der Produktion von blauem Wasserstoff der entstehende Kohlenstoff abgeschieden und gespeichert wird. Grüner Wasserstoff, der als nachhaltigste Variante gilt, wird ausschließlich mit erneuerbaren Energien erzeugt.
Schleppende Marktentwicklung trotz ambitionierter Ziele
Die aktuellen Marktzahlen offenbaren dabei jedoch eine deutliche Diskrepanz zwischen Ambitionen und Realität. Laut IEA-Analyse lag die globale Wasserstoffnachfrage 2023 bei etwa 97 Millionen Tonnen und wird 2024 voraussichtlich die 100-Millionen-Tonnen-Marke erreichen. Besorgniserregend ist dabei der geringe Anteil emissionsarmer Produktion von weniger als 1%. Selbst bei Realisierung aller weltweit angekündigten Projekte würde die emissionsarme Wasserstoffproduktion bis 2030 lediglich 49 Millionen Tonnen pro Jahr erreichen – eine Steigerung gegenüber den im Global Hydrogen Review 2023 prognostizierten 38 Millionen Tonnen, aber weit entfernt von den langfristigen Zielen.
Europäische Ambitionen und deutsche Perspektiven
Die EU verfolgt mit ihrer REPower EU-Strategie einen ambitionierten Ansatz zur Wasserstoffimplementierung. Das Ziel, bis 2030 insgesamt 20 Millionen Tonnen Wasserstoff verfügbar zu haben, soll durch eine Kombination aus eigener Produktion (10 Millionen Tonnen) und Importen (10 Millionen Tonnen) erreicht werden. Langfristig soll erneuerbarer Wasserstoff etwa 10% des EU-Energiebedarfs decken.
Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas spielt dabei eine Schlüsselrolle. Die Nationale Wasserstoffstrategie prognostiziert einen steigenden Bedarf von aktuell 2,4 – 3,7 Millionen Tonnen auf 9,1 – 12,7 Millionen Tonnen bis 2045, wobei zusätzlich 5,1 Millionen Tonnen Wasserstoffderivate benötigt werden. Der Importanteil wird dabei auf 50-70% geschätzt.
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Investmentchancen trotz Überbewertung
Trotz der generellen Überbewertung im Sektor identifizieren Analysten vielversprechende Investmentmöglichkeiten. Chart Industries (WKN: A0ERDE / ISIN: US16115Q3083) sticht dabei besonders hervor: Das US-Unternehmen hat sein Produktportfolio strategisch um Zukunftstechnologien wie Wasserstoff und Flüssigerdgas erweitert und durch gezielte Investitionen und Joint Ventures seine Marktposition gestärkt. Nach einem Kurseinbruch Anfang August wird die Aktie derzeit im unterbewerteten 4-Sterne-Bereich gehandelt.
Der britische Versorger SSE (WKN: A0RCJG / ISIN: GB0007908733) profitiert von der kommenden Regulierungsperiode für Übertragungsnetze ab April 2026 und wird ebenfalls als unterbewertet eingestuft. RWE (WKN: 703712 / ISIN: DE0007037129), trotz eines schwachen Kursverlaufs und Unsicherheiten bezüglich möglicher US-Investitionen, wird von Analysten als stark unterbewertet eingeschätzt. Allerdings werden die Wasserstoff-Ambitionen des Konzerns kritisch gesehen, insbesondere nach der wahrscheinlichen Aufgabe der BASF-Kooperation (WKN: BASF11 / ISIN: DE000BASF111) für ein großes Offshore-Windprojekt.
Wie bereits erwähnt sind im Industriegassektor besonders die drei Marktführer Air Liquide, Air Products & Chemicals Linde hervorzuheben, die derzeit von zahlreichen Analysten als überbewertet eingestuft werden. Zu den weiteren erwähnten Unternehmen im Wasserstoffsektor gehören:
Aktie | ISIN | Performance 1 Jahr | Performance 3 Jahr | Performance 5 Jahre | |
---|---|---|---|---|---|
Entergy | US29364G1031 | 48,3% | 46,6% | 29,4% | |
Plug Power | US72919P2020 | -55,1% | -93,9% | -40,2% | |
Tesla | US88160R1014 | 47,1% | 3,9% | 1467,9% | |
Quelle: comdirect.de / Stand: 11.2024 |
Herausforderungen und Ausblick
Der Sektor steht vor multiplen Herausforderungen. Die politische Unsicherheit in den USA könnte die Förderung von Wasserstoffprojekten beeinträchtigen. In Europa droht die schleppende Umsetzung der Wasserstoffstrategie die industrielle Transformation zu verzögern. Morningstar-Analyst Tancrede Tulop erwartet aufgrund der Post-Energiekrise-Deindustrialisierung keine signifikante Zunahme grüner Wasserstoffprojekte in Europa.
Besonders der Brennstoffzellensektor sieht sich mit wachsender Konkurrenz konfrontiert. Die Batterietechnologie entwickelt sich zunehmend zur ernsthaften Alternative, insbesondere im wichtigen Lkw-Markt. Zusätzlich verschärft der Wettbewerb durch kapitalkräftige Akteure wie Lkw-OEMs und Industriegasunternehmen den Druck auf spezialisierte Wasserstoffunternehmen.
Kostenfaktor als entscheidende Variable
Ein zentraler Aspekt für die weitere Entwicklung des Wasserstoffmarktes sind die Produktionskosten. Aktuell liegt der Preis für grauen Wasserstoff bei etwa 1,5 bis 2,5 Euro pro Kilogramm, während grüner Wasserstoff mit 3,5 bis 6 Euro pro Kilogramm deutlich teurer ist. Experten erwarten jedoch durch technologische Fortschritte und Skaleneffekte einen signifikanten Preisrückgang bei grünem Wasserstoff. Bis 2030 könnten die Kosten auf etwa 2 bis 3 Euro pro Kilogramm sinken, was die Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessern würde.
Infrastrukturentwicklung als Schlüssel zum Erfolg
Die Entwicklung einer adäquaten Wasserstoff-Infrastruktur stellt eine weitere zentrale Herausforderung dar. Die EU plant bis 2030 den Aufbau eines europäischen Wasserstoff-Backbone-Netzes mit einer Länge von etwa 28.000 Kilometern, wovon etwa 60% aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestehen sollen. Deutschland allein plant Investitionen von rund 20 Milliarden Euro in den Aufbau eines Wasserstoff-Kernnetzes bis 2032. Diese Infrastrukturentwicklung wird als entscheidender Katalysator für die breite Marktdurchdringung von Wasserstofftechnologien gesehen.
Fazit und Langfristperspektive
Dennoch bleibt Wasserstoff ein unverzichtbares Element der globalen Energiewende. Der graduelle Übergang von grauem zu blauem und grünem Wasserstoff wird die Branchenentwicklung in den nächsten Jahren prägen. Dabei sind besonders die etablierten Industriegasunternehmen mit ihrer technologischen Expertise und Marktmacht gut aufgestellt, um von dieser Transformation zu profitieren.
Langfristig wird der Erfolg der Wasserstoffwirtschaft von der erfolgreichen Integration verschiedener Faktoren abhängen: der Weiterentwicklung der Technologie, dem Ausbau der Infrastruktur, der Kostendegression bei der Produktion sowie der politischen Unterstützung. Trotz aktueller Herausforderungen deutet die Entwicklung darauf hin, dass Wasserstoff seine Rolle als Schlüsseltechnologie in einer dekarbonisierten Wirtschaft festigen wird.
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Quellen und weiterführende Links