Global- und Branchenanalyse
Die grundlegende Prämisse der Fundamentalanalyse lautet: Der Kurs eines Wertpapiers schwankt um dessen inneren ökonomischen Wert. Fundamentalanalysten sehen in Umsatz- und Gewinnentwicklung die wichtigsten Einflussgrößen für den Aktienmarkt. Ziel der Fundamentalanalyse ist die Ermittlung des betriebswirtschaftlich betrachtet „fairen“ Wertes einer Aktie.
Grob vereinfacht gehen Fundamentalanalysten wie folgt vor:
- Der Barwert einer Aktieninvestition wird ermittelt und dient als innerer Wert
- Notiert eine Aktie unter ihrem inneren Wert wird sie gekauft
- Notiert eine Aktie über ihrem inneren Wert wird sie verkauft
Damit unterscheidet sich die grundlegende Herangehensweise nicht von der bei der Analyse von Anleihen. Bei der Fundamentalanalyse des Aktienmarktes ergeben sich allerdings zusätzliche Probleme. Insbesondere sind die zukünftigen Zahlungsströme unsicher – je weiter sie in der Zukunft liegen desto größer ist die Wahrscheinlichkeit dass sie von den Prognosen abweichen. Während ein großes Industrieunternehmen die Zins- und Tilgungszahlungen fast immer pünktlich leistet wird es die Dividende ohne Vorwarnung zusammenstreichen, wenn sich die Geschäftsentwicklung eintrübt.
Der Aktienkurs folgt nicht immer seinem inneren Wert
Ein weiteres Problem: Selbst wenn der innere Wert einer Aktie korrekt ermittelt wird (was in der Praxis das kleinste Problem darstellt) lässt sich daraus nicht zwingend eine brauchbare Prognose für die Kursentwicklung herleiten. Im Gegenteil: Oft genug entfernt sich der Aktienkurs drastisch und für einen längeren Zeitraum von seinem fairen Wert.
Deutlich wird das anhand des historischen Kurs-Gewinn-Verhältnisses im Deutschen Aktienindex. Dieses schwankte in den letzten Jahrzehnten zwischen 7,50 und 33,00. Der Screenshot ist dem Finanzportal boerse.de entnommen.
Warum entfernt sich der Markt so weit von den Fundamentaldaten?
Die bereits angeführte Unsicherheit im Hinblick auf die zukünftige Unternehmensentwicklung ist keine Konstant, sondern eine Variable. Marktteilnehmer nehmen Risiken im Zeitverlauf unterschiedlich stark wahr. Wenn die Risikoaversion groß ist verlangt der Markt Prämien in Form von niedrigeren KGVs.
Ein weiterer ganz wesentlicher Grund: Aktien stehen in Konkurrenz zu anderen Anlagen. Sind die Renditen am Anleihemarkt hoch macht das Investments dort attraktiver, was in der Historie häufig zu sinkenden Kursen am Aktienmarkt geführt hat. Generell gilt: Je niedriger das Zinsniveau desto besser läuft der Aktienmarkt.
Globalanalyse, Branchenanalyse und Einzelwertanalyse
Die Fundamentalanalyse beginnt deshalb nicht erst bei der Bilanz des zu analysierenden Unternehmens, sondern befasst sich in drei aufeinander aufbauenden Schritten gesamtwirtschaftlichen Fragestellungen (Globalanalyse), branchenspezifischen Entwicklungen (Branchenanalyse) und schließlich unternehmensspezifischen Daten (Einzelwertanalyse).
Die Fundamentalanalyse ist aufwändiger als die Technische Marktanalyse. Dennoch ist sie auch für Privatanleger realistisch durchführbar. Insbesondere leiden die Bemühungen von privaten Investoren nicht unter einem Informationsrückstand. Ad-Hoc-Publizitätspflichen sorgen dafür dass alle Marktteilnehmer zum selben Zeitpunkt über relevante Daten informiert werden. Die für die Globalanalyse erforderlichen gesamtwirtschaftlichen Daten werden ohnehin fast ausschließlich durch amtliche Stellen publiziert.
Globalanalyse
Die Globalanalyse untersucht das gesamtwirtschaftliche Umfeld. Sie befasst sich mit Löhnen und Preisen, mit Zinsen, Konjunkturentwicklung und politischen Einflussfaktoren. Als Datenbasis dienen vor allem amtliche Statistiken und Indikatoren, aber auch Prognosen von Banken und Institutionen wie IWF und Weltbank. Bei jedem analytischen Schritt steht die Einschätzung der gegenwärtigen Lage ebenso im Mittelpunkt wie daraus abgeleitete Prognosen für die nähere Zukunft.
Die Analyse der Konjunktur
Es gibt diverse Konjunkturindikatoren, deren Hauptzweck die Gewinnung von Rückschlüssen auf die Entwicklung des BIP-Wachstums ist. Der Arbeitsmarkt ist ein der Konjunktur nachlaufender Indikator, die Auftragseingänge in der Industrie (und hier besonders die Auftragslage bei Werkstoffproduzenten) gilt als Frühindikator. Durch die zunehmende internationale Verflechtung der Weltwirtschaft ist es nur begrenzt sinnvoll, die Analyse der Konjunktur ausschließlich anhand nationaler Indikatoren vorzunehmen. Stattdessen gilt es, die weltweite Konjunktur zu betrachten.
Konjunkturberichte von Bundesbank und IWF
Der Aufwand einer umfassenden Konjunkturanalyse für alle relevanten Volkswirtschaften der Welt ist für Privatanleger nicht zu stemmen. Es reicht jedoch vollkommen aus, die turnusmäßigen Berichte großer Institutionen zu studieren und die Zusammenfassungen mit denen früherer Berichte zu vergleichen.
Die Geldpolitik der Zentralbanken
Die Monatsberichte von Bundesbank und EZB geben ebenso wie die Pressekonferenzen nach EZB-Ratssitzungen Aufschluss über die geldpolitische Ausrichtung der Europäischen Zentralbank. Das gilt auch für die US-Notenbank Federal Reserve, die Bank of Japan und prinzipiell jede andere Zentralbank.
Eine lockere Geldpolitik mit niedrigen Leitzinsen und ggf. zusätzlichen Anleihekäufen durch die Zentralbank ist tendenziell positiv für die Entwicklung des Aktienmarktes, während eine restriktive Geldpolitik den Markt tendenziell eher belastet.
Löhne und Preise
Das Zinsniveau wird heute maßgeblich durch die Zentralbanken und nur geringfügig durch die Konjunktur bestimmt. Umso wichtiger für die Globalanalyse sind die realwirtschaftlichen Konjunkturparameter Löhne und Preise.
(Zu) stark steigende Löhne belasten die Gewinnentwicklung von Unternehmen und führen zugleich zu steigenden Inflationsraten, was wiederum zu einer restriktiveren Geldpolitik und damit weiteren Belastungen für den Arbeitsmarkt führt. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht für Deutschland laufend Daten zur Entwicklung von Löhnen und Arbeitskosten.
Preise auf Beschaffungsmärkten
Vor allem für Industrieunternehmen sind Rohstoffpreise von großer Bedeutung. Steigende Rohstoffpreise können die Margen belasten. Wie stark die Margen eines Unternehmens durch steigende Preise auf Rohstoff- und anderen Beschaffungsmärkten belastet werden hängt ganz wesentlich von seiner Markt- und Markenposition ab. An diesem Punkt wird deutlich, dass die einzelnen Bestandteile der Fundamentalanalyse keine in sich abgeschlossenen Segmente sind und die Gesamtbetrachtung maßgeblich sein muss.
Die Wechselkursentwicklung
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Globalanalyse ist die Wechselkursentwicklung am Devisenmarkt. Je größer der Anteil des in Fremdwährungsräumen erzielten Umsatzes eines Unternehmens ist desto stärker wirkt sich die Wechselkursentwicklung auf Umsatz und Gewinn aus. Wechselkurse werden von diversen Einflussgrößen wie Inflation, Wachstum und Geldpolitik beeinflusst.
In der medialen Berichterstattung beschränkt sich die Beobachtung des Devisenmarktes leider vorrangig auf den US-Dollar bzw. dessen Wert gegenüber dem Euro. Dabei spielen die USA insgesamt betrachtet als Absatzmarkt nur eine Nebenrolle. Wichtiger erscheint eine handelsgewichtete Betrachtung des Euro-Außenwertes für Unternehmen aus der Eurozone.
Branchenanalyse
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können in einzelnen Branchen sehr unterschiedlich ausfallen. Sowohl die allgemeine Konjunktur als auch politische bzw. gesetzgeberische Entwicklungen und Interventionen wirken sich nicht auf jede Branche gleich aus. Das wird anhand einiger Beispiele rasch deutlich:
- Stahlhersteller reagieren auf die Konjunktur stärker als Nahrungsmittelproduzenten
- Von der „Abwrackprämie“ profitierte nur die Automobilindustrie direkt
- Extrem niedrige Zinsen wirken sich besonders auf die Baubranche aus
- Die Einführung von Abgaben auf Strom (EEG-Umlage) betrifft verstärkt Betriebe mit hohem Energieverbrauch
Auftragseingänge als Frühindikator
Ein ganz wesentlicher Frühindikator sind Auftragseingänge in verschiedenen Branchen. Diese werden von Bundesbank und Statistischem Bundesamt in der Regel monatlich veröffentlicht. Besondere Bedeutung kommt den Auftragseingängen in der Industrie und im Bauhauptgewerbe sowie den erteilten Baugenehmigungen im Hochbau zu.
Die Erläuterungen der Bundesbank zu den Auftragseingängen der Industrie in Kurzform: „Der vom Statistischen Bundesamt monatlich berechnete Index des Auftragseingangs umfasst den Wert aller in der jeweiligen Berichtsperiode von Unternehmen der auftragsorientierten Industrie mit 50 und mehr Beschäftigten fest akzeptierten Order auf Lieferung selbst hergestellter Erzeugnisse. Dabei werden die Ergebnisse nicht nur nach Wirtschaftszweigen, sondern auch nach dem Herkunftsgebiet (Inland sowie Ausland unterteilt nach EWU und Nicht-EWU) gegliedert.“
Zu den Auftragseingängen im Bauhauptgewerbe: „Der vom Statistischen Bundesamt berechnete Auftragseingang umfasst den Wert (ohne Umsatzsteuer) aller im jeweiligen Berichtsmonat von den Betrieben des Bauhauptgewerbes von Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten fest akzeptierten Aufträge“
Zu den erteilten Baugenehmigungen im Hochbau: „Der Indikator der erteilten Baugenehmigungen zeigt die veranschlagten Baukosten sämtlicher genehmigungspflichtiger Baumaßnahmen des Bundesgebiets in einer Berichtsperiode. Er wird monatlich vom Statistischen Bundesamt aus Verwaltungsunterlagen der Bauaufsichtsbehörden und Bauherren berechnet.“
Das ifo-Geschäftsklima
Zu den bekanntesten konjunkturellen Frühindikatoren in Deutschland zählt der ifo-Geschäftsklimaindex. Der Index basiert auf der monatlichen Befragung von ca. 7.000 Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, des Bauhauptgewerbes, des Großhandels und des Einzelhandels, die zur gegenwärtigen Geschäftslage und zu ihren Erwartungen befragt werden. Auf die Frage zur gegenwärtigen Lage können die Unternehmen mit „gut“, „befriedigend“ oder „schlecht“ antworten, auf die Frage nach den Erwartungen für die kommenden sechs Monate mit „günstiger“, „gleich bleibend“ oder „ungünstiger“.
Der ifo-Geschäftsklimaindex berücksichtigt zu gleichen Teilen die aktuelle Lage und die Erwartungen. An der Börse sind fast immer die Erwartungen von größerem Interesse. Steigt der Index dreimal in Folge liegt nach gängiger Interpretation ein Signal für einen Konjunkturaufschwung vor. Fällt der Index dreimal in Folge wird eine Rezession erwartet.
Daten und Statements von Branchenverbänden
Niemand ist näher an den Entwicklung einer Branche als die Branche selbst – häufig vertreten durch Branchenverbände. Die Verbände publizieren in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Einschätzungen zur Geschäftsentwicklung und lassen in Positionspapieren durchblicken, wie sich bestimmte administrative Entscheidungen tendenziell auf die Geschäftslage auswirken würden.