Risikobewertung von Anleihen

Bewertung des Zinsänderungsrisikos: Duration und Konvexität

Die Duration ist eine durch den kanadischen Ökonom F. H. Macaulay bereits in den 1930er Jahren entwickelte Kennzahl zur Anleihebewertung. Die Duration gibt an, wie lange das in einer Anleihe investierte Geld darin noch gebunden ist. Die Finanzkennzahl wird in Jahren angegeben und dient vor allem zur Bewertung von Zinsänderungsrisiken. Je größer die Duration, desto stärker reagiert der Kurs einer Anleihe auf Zinsänderungsrisiken.

Definition der Duration

Die Duration wird in der einschlägigen Fachliteratur als „mittlere Bindungsdauer der Anschaffungsauszahlung“ oder auch „mittlere Selbstliquidierungsperiode“ definiert. Ein Anleiheinvestment und der damit verbundene Zahlungsstrom beginnt mit der Zeichnung bzw. dem Erwerb der Anleihe und der Entrichtung des Kaufpreises (ggf. mit Stückzinsen) an den Verkäufer.

Anschließend folgen Mittelzuflüsse in Form von Zinszahlungen und schließlich der Rückzahlung der Anleihe. Die Duration misst, wie lange es dauert bis diese Mittelzuflüsse die anfängliche Auszahlung amortisiert haben. Bei einer Nullkuponanleihe entspricht die Duration deshalb der Restlaufzeit der Anleihe. Bei Kuponanleihen weicht die Duration umso stärker in Richtung des Anschaffungszeitpunktes ab, je höher die Zinszahlungen gemessen am Einsatz sind und je früher diese zeitlich erfolgen. Die zwischenzeitlichen Zahlungen werden in der einfachen Variante der Duration mit einem einheitlichen Zinssatz abgezinst (diskontiert).

Anleger sollten die durchschnittliche Duration eines Anleiheportfolios an ihren individuellen Zeithorizont anpassen. Übersteigt die Duration den Anlagehorizont besteht das Risiko von Kursverlusten durch zwischenzeitliche Änderungen des Zinsniveaus. Das Zinsänderungsrisiko betrifft Anleger dagegen nicht, wenn das Portfolio bis zur Fälligkeit gehalten wird.

Abwandlungen der Duration

Die „Effektive Duration“ sieht eine im Vergleich zur konventionellen Variante veränderte Diskontierung der zwischenzeitlichen Mittelzuflüsse vor. Diese werden nicht mit einem einheitlichen Zinssatz, sondern mit dem für die Laufzeit bis zur Zahlung geltenden Kassamarktzinssatz abgezinst. Im Vergleich zur einfachen Duration ergeben sich Unterschiede, sobald die Zinsstrukturkuve nicht vollkommen flach verläuft.

Die „Modifizierte Duration“ wird in vielen Such- und Sortiertools für den Anleihemarkt verwendet. Die Modifizierte Duration gibt an, wie sich der Kurs einer Anleihe verändert, wenn der sich das allgemeine Zinsniveau um einen Basispunkt ändert. Es handelt sich somit um eine Sensitivitätskennzahl. Die Kennzahl besitzt nur für kleine Zinsänderungen eine hinreichende Aussagekraft.

Die „Key Rate Duration“ untersucht den Einfluss von Zinsänderungen auf den Anleihekurs nicht im Hinblick auf eine vollständige Verschiebung der gesamten Zinsstrukturkurve um einen konstanten Zinssatz. Stattdessen wird die Verschiebung von Teilen der Kurve unterstellt und die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Kurs untersucht. Die Key Rate Duration gibt deshalb Aufschluss darüber, wie sich der Anleihekurs entwickelt wenn es z. B. nur am langen Ende zu Zinsänderungen kommt und das Zinsniveau am kurzen Ende konstant bleibt.

Konvexität

Die Duration weist einen ganz wesentlichen Konstruktionsfehler auf: Je größer eine untersuchte Zinsänderung ausfällt, desto ungenauer wird ihre Aussage. Das liegt daran, dass ihre Berechnung einen linearen, gleichmäßigen Zusammenhang zwischen dem Kurs und der Rendite einer Anleihe unterstellt. Tatsächlich ist der Zusammenhang jedoch nicht linear sondern konvex (was in der grafischen Darstellung einer gekrümmten Kurve entspricht), was bei sehr kleinen Zinsänderungen allerdings kaum ins Gewicht fällt. Bei Zinsänderungen von 1,00 Prozent sind Abweichungen von 0,30 Prozent des Nennwertes realistisch.

Soll die Auswirkung größerer Zinsänderungen auf den Anleihekurs untersucht werden findet dafür die Konvexität Anwendung, die auch in vielen Suchtools im Internet implementiert ist und ebenso wie die Duration auf einzelne Anleihen oder ein Anleiheportfolio angewendet werden kann. Mathematisch betrachtet berücksichtigt die Konvexität neben der ersten auch die zweite Ableitung der Funktion, die den Zusammenhang zwischen Kurs und Zins angibt: Die Steigung der Steigung.

Was Duration und Konvexität nicht verraten

Sowohl Duration als auch Konvexität dienen ausschließlich zur Bewertung systematischer Risiken und sagen nichts über das Ausfallrisiko einer bestimmten Anleihe aus (abgesehen von einer möglichen indirekten Aussage des Kurses oder Kupons, die sich auch in den Kennzahlen widerspiegelt). Die alleinige Zusammensetzung eines Anleiheportfolios nur auf Grundlage dieser beiden Sensitivitätskennzahlen ist deshalb nicht zielführend.

Ratingagenturen

Das Bonitäts- oder Adressausfallrisiko ist das größte unsystematische Risiko im Zusammenhang mit Anleiheinvestments. Spätestens die Subprime-Krise der USA und die Staatsschuldenkrise in der Eurozone haben deutlich gemacht, dass sich dieses Risiko keinesfalls auf Nischeninvestments aus der zweiten und dritten Reihe beschränkt. Die Urteile von Ratingagenturen waren in diesen Krisen nicht immer von rekordverdächtiger Genauigkeit, stellen aber nach wie vor die Basis für die Bewertung von Ausfallrisiken von Schuldverschreibungen dar.

Wie arbeiten Ratingagenturen?

Im Zentrum jedes Ratings steht die Frage nach der Fähigkeit des Emittenten, seinen Zahlungsverpflichtungen (Zins und Tilgung der Anleihe) termingerecht nachzukommen. Ratingagenturen berücksichtigen dabei diverse Bilanzkennzahlen (z. B. Cash Flow, Rücklagen) und weitere, „weiche“ Faktoren wie z. B. Qualität und Erfahrung des Managements.

Ratingagenturen können die Bonität von Unternehmen sowohl in deren Auftrag (mit einem Mandat) oder ohne Mandat beurteilen. Ist letzteres der Fall stützen sich die Bewertungen auf öffentlich zugängliche Quellen, wie Bilanz und Geschäftsbericht. Erteilt ein Unternehmen einer Agentur ein Mandat bezahlt es ein Honorar für die Bonitätseinstufung und stellt der Agentur in der Regel weiteres Datenmaterial zur Verfügung. Abhängig vom Umfang des Mandats werden dann auch unternehmensinterne Abläufe und Datenerhebungen berücksichtigt.

Für Anleger ist anhand der veröffentlichten Ratingergebnisse nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage eine Bonitätseinstufung beruht. Selbst Interessenskonflikte können nicht ausgeschlossen werden. Erstens muss eine Ratingagentur bei einer aus Sicht des zu bewertenden Unternehmens mit dem Entzug des Mandats (und damit auch des Honorars) rechnen.

Ratingagenturen und Interessenskonflikte

Zweitens könnten Ratingagenturen bei Bewertungen ohne Mandat unter Verweis auf die geringere Informationsbasis versucht sein, die Ratings etwas niedriger anzusetzen: Primär um ein ex post betrachtet zu positives Rating und damit einen eigenen Imageverlust zu vermeiden, sekundär aber womöglich auch in der Hoffnung auf die Erteilung eines Mandats. Dieser Interessenskonflikt ist insbesondere bei kleinen Agenturen ohne Reputation und mit überschaubarem Kundenstamm nicht auszuschließen.

Von den vielen international tätigen Ratingagenturen sind lediglich drei US-Agenturen global bekannt: Standard&Poors, Moody´s und Fitch Ratings. Fitch Ratings wurde 1913 gegründet, beschäftigt ca. 2300 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Umsatz in Höhe von ca. 550 Mio. Euro. Standard&Poor´s wurde 1941 gegründet, beschäftigt 8500 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 2,9 Mrd. USD. Moody´s wurde 1909 gegründet erwirtschaftet mit 4700 Mitarbeitern einen Jahresumsatz in Höhe von 2 Mrd. USD.

Die Noten der Ratingagenturen

Ratingagenturen fassen ihre Einschätzung zur Bonität in Noten zusammen. Die Agentur Standard&Poor´s bewertet sowohl die Bonität bzw. das Ausfallrisiko von Anleihen (Englisch: Issue) als auch die Kapitaldienstfähigkeit von Emittenten (Issuer) ohne Bezug zu einzelnen Anleihen. Darüber hinaus gibt es Ratings für kurz- und langfristige Zeiträume. Nachfolgend die (freie) deutsche Übersetzung der Ratingkategorien für langfristige Anleihe-Ratings (Long Term Issue) der Agentur Standard&Poor´s. Das englischsprachige Original ist hier einsehbar:

Standard&Poor´s Ratings

AAA

Eine mit AAA eingestufte Anleihe besitzt die höchste von Standard & Poor’s zugewiesene Einstufung. Die Fähigkeiten des Gläubigers zur Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Anleihe sind extrem groß.

AA

Eine mit AA eingestufte Anleihe unterscheidet sich von den mit den höchsten Einstufung versehenen Anleihen nur marginal. Die Fähigkeiten des Gläubigers zur Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Anleihe sind sehr groß.

A

Eine mit A eingestufte Anleihe ist etwas anfälliger gegenüber nachteiligen Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse als Anleihen in höher eingestuften Kategorien. Dennoch ist die Fähigkeit des Gläubigers zur Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen aus der Anleihe groß.

BBB

Eine mit BBB eingestufte Anleihe weist ausreichende Sicherheitseckwerte auf. Dennoch können ungünstige wirtschaftliche Bedingungen oder sich verändernde Umstände eher zu einer geschwächten Fähigkeit des Gläubigers im Hinblick auf die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus der Anleihe führen.

BB, B, CCC, CC und C

Anleihen, die mit BB; B; CCC; CC; und C eingestuft werden signifikant spekulative Charakteristika zugeschrieben. BB steht dabei für den niedrigsten Grad der Spekulation und C für den höchsten. Anleihen dieses Typs weisen durchaus qualitative Eigenschaften auf, die jedoch durch große Unsicherheiten und starke Anfälligkeit gegenüber ungünstigen Entwicklungen überwogen werden.

BB

Eine mit BB eingestufte Anleihe ist weniger anfällig für Zahlungsausfälle als andere spekulative Titel. Dennoch sieht sie sich anhaltenden Unsicherheiten und Anfälligkeiten gegenüber ungünstigen geschäftlichen, finanziellen oder wirtschaftlichen Umständen ausgesetzt, was zu einer mangelhaften Fähigkeit des Gläubigers zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus der Anleihe führen könnte.

B

Eine mit B bewertete Anleihe ist anfälliger für Zahlungsausfälle als Anleihen die mit BB eingestuft sind, der Gläubiger besitzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch die Fähigkeit zur Erfüllung einer Verpflichtungen aus der Anleihe. Ungünstige geschäftliche, finanzielle oder ökonomische Bedingungen werden diese Fähigkeit oder Bereitschaft jedoch wahrscheinlich beeinträchtigen.

CCC

Eine mit CCC eingestufte Anleihe ist gegenwärtig anfällig für Zahlungsausfälle und die Fähigkeit des Gläubigers zur Erfüllung einer Zahlungsverpflichtungen ist abhängig von günstigen geschäftlichen, finanziellen und ökonomischen Bedingungen. Im Fall ungünstiger geschäftlicher, finanzieller oder ökonomischer Bedingungen wird der Gläubiger seinen Zahlungsverpflichtungen absehbar nicht nachkommen können.

CC

Eine mit CC eingestufte Anleihe ist gegenwärtig stark anfällig für Zahlungsausfälle. Das CC Rating wird eingesetzt wenn ein noch kein Zahlungsausfall eingetreten ist, S&P diesen aber ohne Ansehen der bis zum Ausfall zu erwartenden Zeit für sehr wahrscheinlich hält.

C

Eine mit C eingestufte Anleihe ist gegenwärtig stark anfällig für Zahlungsausfälle. Ihr wird im Vergleich zu höher eingestuften Anleihen eine geringere Rückzahlungswahrscheinlichkeit zugewiesen.

D

Mit D eingestufte Anleihen befinden sich im Zahlungsverzug oder unmittelbar davor. Für nicht-hybride Finanzierungsinstrumente wird das D-Rating verwendet, wenn Zahlungen zum Fälligkeitstag nicht erfolgt sind, es sei denn S&P ist der Auffassung dass diese Zahlungen innerhalb von maximal 30 Tagen erfolgen werden. Das D-Rating wird außerdem bei der Abgabe eines Insolvenzantrags verwendet.

NR

Das bedeutet dass kein Ratung beauftragt wurde oder dass keine für ein Rating ausreichenden Informationen vorliegen.

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Bilanzkennzahlen: Risiken erkennen

Privatanleger müssen sich bei der Beurteilung der Bonität von Anleiheemittenten auf die Einschätzung von Banken und Ratingagenturen verlassen. Eine eigenständige Insolvenz- bzw. Zahlungsausfallprognose auf Basis der Daten des Jahresabschlusses übersteigt jeden angemessenen Rahmen und lässt sich ohne spezifische Fachkenntnisse nicht durchführen – schon gar nicht für eine größere Anzahl zu untersuchender Titel. Eine Blackbox müssen Insolvenzprognosen aber auch für private Investoren nicht sein. Nachfolgend soll überblicksartig dargestellt werden, wie Banken und Ratingagenturen die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls berechnen.

Insolvenzprognosen bzw. Prognosen über mögliche Zahlungsausfälle werden mithilfe standardisierter Verfahren erstellt. Das gilt für Anleihen genauso wie für Unternehmen und Privatpersonen. Das Insolvenzrisiko von Privatpersonen und kleineren Unternehmen wird z. B. anhand von Einkommen und Zahlungshistorie sowie bestimmten Merkmalen bei der Kontoführung gemessen. Da es sich bei Anleiheemittenten überwiegend um größere Unternehmen handelt werden die Daten des Jahresabschlusses herangezogen. Doch welche sind eigentlich entscheidend?

Welche Kennzahlen deuten auf eine Insolvenz hin?

Einheitliche Verfahren zur Prognose von Zahlungsausfällen bei Anleihen gibt es nicht. Im Kern vergleichen jedoch alle Verfahren die Situation zu bewertender Unternehmen mit den historischen Bilanzen bereits insolventer Unternehmen. Dabei werden bestimmte Merkmale herausgefiltert, die bei möglichst hoher Trefferquote insolvenzgefährdete Unternehmen frühzeitig identifizieren. Diese Merkmale zielen auf Liquidität, Kapitalstruktur und Schuldentragfähigkeit ab.

Mehr Eigenkapital ist deshalb vorteilhafter als wenig Eigenkapital, wobei unbefristetes Eigenkapital (z. B. Aktien) besser sind als befristetes Eigenkapital (z. B. Nachrangdarlehen oder Genussrechte aus dem Mezzaninebereich). Auch Fremdkapital sollte möglichst lange zur Verfügung stehen: Langlaufende Anleihen sind eine verlässlichere Finanzierungsquelle als monatlich kündbare Bankdarlehen oder Genussrechte. Die Summe aus Eigenkapital und langfristigem Fremdkapital übersteigt im besten Fall den Bilanzsansatz des Anlagevermögens.

Die Finanzmärkte senden Signale

Von zentraler Bedeutung für die Schuldentragfähigkeit ist der Cash Flow eines jeden Unternehmens. Je höher dieser ist, desto mehr flüssige Mittel stehen zur Schuldentilgung zur Verfügung. Der Cash Flow ist darüber hinaus sehr viel weniger anfällig für „bilanzpolitische Maßnahmen“ als der ausgewiesene Gewinn oder Verlust. Ein Unternehmen kann seinen Verlust z. B. durch die Aktivierung stiller Reserven verringern, ohne dass sich an seiner tatsächlichen Situation etwas ändert.

Privatanlegern wird die Kenntnisnahme der vorgenannten Eigenschaften in der Regel wenig helfen, weil diese Informationen ohnehin im Kurs jeder Anleihe eingepreist sind und Ratingagenturen und Bankanalysten keinesfalls über weniger Informationen verfügen als jene des letzten Jahresabschlusses. Sinnvoller kann es sein, die Signale der Finanzmärkte frühzeitig wahrzunehmen und ggf. mit dem Verkauf einer in Schieflage laufenden Anleihe zu reagieren.

Der Anleihemarkt preist Risikoprämien mit einem Kursabschlag ein. Gemessen werden solche Risikoprämien in Form der Renditedifferenz zu vergleichbaren Anleihen (Spread). Dadurch werden allgemeine Zinsänderungen aus der Betrachtung ausgeklammert. Steigt der Spread plötzlich an, bewertet der Markt das Risiko eines Unternehmens offenbar höher. Auch eine ansteigende Volatilität bei Anleihe und Aktie des Unternehmens können ein Warnsignal sein.

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Risikobewertung bei Staatsanleihen

Dass Anleihen von Industriestaaten überhaupt ein Ausfallrisiko aufweisen ist in der akademischen Finanzliteratur neu. Mindestens eine Generation von Studenten lernte, dass es einen so genannten „sicheren Zinssatz“ gebe, zu dem Marktteilnehmer Geld ohne jegliches Risiko anlegen könnten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise und die Krise der Euro-Währungsunion haben dieses Bild ins Wanken gebracht. Doch wie wird das Zahlungsausfallrisiko (großer und ökonomisch entwickelter) Staaten überhaupt ermittelt?

Wie groß ist das Risiko eines Staatsbankrotts?

Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Es versteht sich von selbst, dass das Ausfallrisiko von Staatsanleihen im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen der gesamten existierenden Verschuldung eines Staates und seiner Wirtschaftsleistung steht. Aus diesem Grund werden so häufig Schuldenstände als Quote am Bruttoinlandsprodukt veröffentlicht. Daraus allein lässt sich aber keine zufriedenstellende Antwort im Hinblick auf Ausfallrisiken bei Staatsanleihen ableiten.

Japan beispielsweise weist mit 245% des BIP die weltweit höchste Staatsverschuldung auf und lag in dieser Hinsicht schon vor dem Ausbruch der Finanzkrise deutlich vor Griechenland. Im Gegensatz zu den Hellenen benötigte Japan jedoch keine Hilfsmaßnahmen. Dabei hatte sich die griechische Wirtschaft im Vorfeld der Finanzkrise sehr viel positiver entwickelt als die von Deflation geplagte Wirtschaft in Japan. Die Betrachtung von Staatsschulden und BIP allein reicht also für eine Bewertung des Risikos nicht aus.

Außenwirtschaftliches Gleichgewicht

An einer anderen Stelle lässt sich dagegen ein großer Unterschied ausmachen: Während Japan traditionell einen Leistungsbilanzüberschuss aufweist, überstiegen die griechischen Importe über einen langen Zeitraum die Exporte des Landes. Ein negativer Außenhandelsbeitrag führt nicht zwingend zu höheren Staatsschulden, aber zwingend zu einer höheren Verschuldung der gesamten Volkswirtschaft. Griechenland hat sich beispielsweise über seinen nationalen Bankensektor im Ausland verschuldet. Ähnliche Entwicklungen waren im Zuge der Euro-Krise in Spanien und Irland feststellbar.

Ist eine Volkswirtschaft insgesamt hoch verschuldet besteht empirisch betrachtet ein großes Risiko für den Transfer von Verbindlichkeiten aus dem Bankensektor in den öffentlichen Sektor: Die Schulden von Banken werden dabei im Rahmen von Stützungsmaßnahmen durch den Staat übernommen, wodurch die Staatsverschuldung ausgerechnet in einem besonders instabilen Marktumfeld stark ansteigt. Wenn es zu diesen Entwicklungen kommt können Anleger nur noch bedingt reagieren, weil zu diesem Zeitpunkt der Kurswert der Staatsanleihen des betreffenden Landes bereits deutlich gesunken ist.

Kennzeichen solider Staatsfinanzen

Staaten sind keine rein ökonomischen Institutionen. Deshalb spielen auch politische Kräfteverhältnisse und Entwicklungen eine bedeutende Rolle für das effektive Ausfallrisiko von Staatsanleihen. Die USA beispielsweise sind bezogen auf die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand mit mehr als 100 Prozent ihres BIP verschuldet und weisen seit den 1970er Jahren Leistungsbilanzdefizite auf.

Dennoch ist ein Staatsbankrott (nicht zu verwechseln mit einer rein politisch verursachten kurzfristigen Zahlungsunfähigkeit) fast ausgeschlossen. Die USA können über ihre Notenbank theoretisch unbegrenzt viel Geld drucken und damit ihre Verpflichtungen erfüllen. Würden ökonomisch und militärisch weniger stark positionierte Staaten so verfahren wäre ein drastischer Wechselkursverlust die Folge – dadurch würden internationale Gläubiger auch dann verlieren, wenn alle Anleihen formal bedient werden.

Privatanlegern bleibt bei der Bewertung des Risikos von Staatsanleihen letztlich nichts anderes übrig als übergeordnete wirtschaftliche und politische Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren. Kennzeichen öffentlicher Solidität sind eine möglichst geringe Bestands- und Neuverschuldung sowie ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht bzw. Leistungsbilanzüberschüsse. Je weiter ein Staat von diesen Zielen entfernt ist desto größer ist prinzipiell das Risiko von Verlusten durch Zahlungsausfälle oder Inflationierung.