Delivery Hero, Takeaway, HelloFresh – ist die Luft bei Lieferdiensten raus?
Anfang Juli 2022 war das kurze Gastspiel von Delivery Hero im DAX40 bereits wieder beendet. Die Berliner flogen nach knapp zwei Jahren aus dem deutschen Leitindex. Einer der Gründe: Wer sich im DAX halten will, muss mindestens zwei Geschäftsjahre in Folge mit Gewinn abgeschlossen haben. Bei Delivery Hero lag das Konzernergebnis 2021 aber wieder tief in den roten Zahlen (-1.096,5 Mio. Euro). 2020 war es übrigens noch schlechter mit -1.407,2 Mio. Euro. Da helfen auch praktisch verdoppelte Umsätze (2021: 5.855,6 Mio. Euro vs. 2020: 2.471,9 Mio. Euro) und die Annual-Report-Überschrift „always delivering – an amazing experience“ nichts mehr. (Ach, ja: 2019 gab es zwar einen Konzerngewinn von 230,2 Mio. Euro, der aber hauptsächlich aus dem Verkauf des Deutschlands-Geschäfts an Just Eat Takeaway resultierte.) Für Anleger ist das Geschäft inzwischen ganz weit weg von „großartig“. Aber Delivery Hero ist kein Einzelfall. Unser Check der drei bekanntesten Lieferdienst-Aktien.
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste in Kürze
- Im Check: Delivery Hero – Ohne Strategie raus dem DAX
- Im Check: Just Eat Takeaway – Lieferandos unternehmerischer Schlingerkurs
- Im Check: HelloFresh – Tief gefallen, aber unterbewertet
- Fazit: Post-Corona-Hype lässt die Luft aus den Lieferdienst-Aktien
Delivery Hero
Bleiben wir zunächst einmal beim Berliner Startup. Ein paar Fakten zum Start von Delivery Hero: Gegründet im Mai 2011, beschäftigte der Betreiber von Bestell- und Lieferplattformen zuletzt 45.445 Mitarbeiter (2021). An die Börse ging es 2017 – es war einer der größten Börsengänge des Jahres. Aktien gab es damals zum Wert von 25,50 Euro pro Stück. Im Vergleich zu heute also immer noch ein guter „Deal“, wenn wir die aktuellen 35 bis 36 Euro (Stand: Juni 2022) zugrunde legen. Allerdings ist dieser Kurs bereits weit weg von den Höchstständen der vergangenen Jahre. Zwischenzeitlich waren bis zu 145,40 Euro pro Aktie drin.
Zurück in das Jahr 2021: Damals sammelte Delivery Hero satte 1,2 Milliarden Euro mittels Kapitalerhöhung ein. Zudem profitierte das Unternehmen vom Corona-bedingten Bestellboom. Geschlossene Restaurants und staatlich angeordnete Gebote (respektive Verbote) zum Abstand – der ideale Nährboden für Liefer- und Bringdienste. Dafür sprechen bis zu 1,3 Milliarden Bestellungen und ein Segmentumsatz von 2,8 Milliarden Euro im Jahr 2020. Was indes ausblieb? Hohe Gewinne. Stattdessen investierte Delivery Hero in Wachstum und Übernahmen, z. B. den südkoreanischen Lieferdienst Woowa und den spanischen Vertreter Glovo. Auch wird Q-Commerce (Quick Commerce), d. h. der Lebensmittel- und Warenkurierdienst, als Hoffnungsträger ausgerufen. In Deutschland wird mit der Marke Foodpanda ein Neustart probiert – und kurze Zeit später gegen die Wand gefahren. Im Herbst steckt Delivery Hero stattdessen einen dreistelligen Millionenbetrag in Gorillas und erwirbt acht Prozent an der Gesellschaft. Das ganze wird als Investition in Innovation angepriesen.
Kurs- bzw. charttechnisch entwickelt sich spätestens zum Jahreswechsel 2021/2022 nicht mehr alles nach Plan. Die Anleger verlangen zumindest den Ausblick auf absehbare Profite. Genau das kann das Team rund um Gründer und CEO Niklas Östberg aber nicht liefern. „Es tut mir wirklich leid für alle Aktionäre! Ich bin in Ihrem Boot“ twitterte der Firmenchef nach einem Kursverlust von 30 Prozent im Frühjahr 2022. Danach ging die Talfahrt weiter.
Vertrauen ist gut, auch an der Börse
Jetzt zur eine Million-Euro-Frage? Was läuft schief bei Delivery Hero? Einem fast idealen Marktumfeld (Pandemie, Lockdown, Homeoffice) setzen die Berliner eine wenig schmackhaftes Gemisch aus unkoordiniertem Wachstumskonzept und fehlender Transparenz entgegen. Abschließend wird ein Stück kommunikatives Unvermögen hinzugefügt und – voilà – fertig ist eine Spezialität der Hauptstadt: Maximaler Vertrauensverlust mit teurer Rechnung. Angekreidet wurde Delivery Hero u. a., dass kaum belastbare Quartalszahlen vorliegen, unternehmerische Ziele keine Vorgaben bezüglich etwaiger Zeiträume besitzen und potenziell eine klare Strategie fehlt. Wann ist mit einem positiven Ergebnis zu rechnen? Laut Östberg (via Reuters) gegebenenfalls 2023…oder eben nicht. Analysten von Bloomberg halten Nettogewinne erst 2025 für realistisch. Kurz vor der Hauptversammlung im Juni 2022 nannte Cornelia Zimmermann, Spezialistin für Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, den eingeschlagenen Weg einen „geschäftspolitischen Schlingerkurs“.
Speziell bei Delivery Hero stellt sich die Frage, wohin der Weg führt. Mit einer klaren Positionierung, einem hohen Maß an Transparenz und mehr „Charme“ wäre für das ehemalige Startup sicher noch etwas zu retten. Das sehen auch die meisten Analysten so. Verlorenes Vertrauen bei privaten Anlegern zurückzugewinnen dürfte jedoch schwierig werden. Grund ist ein Problem, dass die gesamte Lieferdienstbranche durchzieht. Wir wechseln zum Branchenprimus.
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Just Eat Takeaway aka Lieferando
An dieser Stelle jetzt ein Blick auf den hierzulande beliebten Lieferdienst Lieferando. Dahinter steht das in den Niederlanden ansässige Unternehmen Just Eat Takeaway. Gegründet im Jahr 2000 von Jitse Groen, seit 2008 auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv. 2018 kaufte der zwischenzeitlich in Takeaway.com umbenannte Dienst u. a. Foodarena.ch, Lieferheld.de, Foodora und Pizza.de von Delivery Hero für den Kaufpreis von ca. einer Milliarde Euro. Auch hier noch ein paar Fakten: Im Jahr 2021 weist der Geschäftsbericht rund 99 Millionen aktive Kunden und etwa 1,1 Milliarden verarbeitete Bestellungen aus. Genau wie Delivery Hero läuft das Geschäft in Pandemiezeiten hervorragend. Für die Zeit danach sieht es aber in Amsterdam nahezu so ungemütlich aus wie in Berlin. Nicht nur, dass die Menschen wieder zurück in Restaurants strömen und dem Essen aus Assietten oder anderen Behältnissen etwas überdrüssig sind, auch ein paar andere, eher uncharmante Details, fallen bei Just Eat Takeaway ins Gewicht. Zu niedrige Löhne, mäßige bis schlechte Arbeitsbedingungen, ein kalkuliertes Bonus-System, Personalmangel, Missbrauch der Marktstellung, hohe Provisionen, Überwachung der Mitarbeiter – die Schattenseiten des Lieferdienstsystems reichen für regelmäßige Magenschmerzen bei Anlegern aus.
Wie bei dem ersten Unternehmen in unserer Übersicht gilt: Vertrauen hilft…sowie Glaubwürdigkeit. Im Fall von Just Eat Takeaway ist der gemeine Kunde allerdings durchaus geneigt, der Kritik an den Plattformen bzw. Lieferdienstbetreibern zu glauben.
Exkurs: Fair geht vor
Wir schauen auf den Index von Fairwork in Deutschland: Jener zeigt immerhin, dass es bei Lieferando noch einigermaßen (im Rahmen der Möglichkeiten) solide zugeht, was Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Verträge, Management-Prozesse und Transparenz angeht. Gemeinsam mit Wolt erzielte Lieferando (also Just Eat Takeaway) hier sieben von zehn Punkten. Von traumhaften Bedingungen dürfte hier aber keiner sprechen. Nicht umsonst hat Lieferando in Deutschland z. B. Negativpreise wie den „Big Brother Award“ 2022 „für die unzulässige Totalkontrolle ihrer beschäftigten ‚Rider‘“ erhalten.
Abseits moralischer und arbeitsethischer Fragen ist natürlich die Entwicklung des Kurses von Just Eat Takeaway interessant. In unserer Grafik wird sichtbar, dass Just Eat Takeaway – wie die Konkurrenz – in der Wachstums-Falle sitzt. Wachstum erweist sich als teuer und die Anleger erwarten mittlerweile Gewinne. Im Geschäftsbericht für 2021 findet sich ein Verlust von 1,044 Milliarden Euro – hauptsächlich durch Investitionen in schwächere Märkte und die 7,3 Milliarden-US-Dollar-Übernahme des US-Lieferdienstes Grubhub (von dem sich Just Eat Takeway zwischenzeitlich wieder trennen wollte). Auch beim operativen Geschäft ging es in die roten Zahlen: Am Jahresende verzeichnete der Konzern einen Verlust von 350 Millionen Euro. Im Vorjahr (2020) lag Just Eat Takeaway noch mit 363 Millionen Euro im Plus. Kurzum: Jedes größere Wachstum lässt sich offenbar nur teuer er- bzw. einkaufen. Weil der Markt aber durchaus hart ist, können solche Jahre Anleger abschrecken. Für 2022 wurden bessere Zahlen versprochen, was aber – aufgrund der hohen Inflation, dem Ende des Corona-Booms und schwächelnder Bestellungen – schwierig werden dürfte.
Bevor wir es vergessen: Die Kurse zeigen derzeit den typischen Post-Corona-Hype-Verlauf. Von einem Höhepunkt bei fast 110 Euro bleiben derzeit 16,67 Euro – kaum ein Drittel des Kurses von Anfang 2018.
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HelloFresh
Ein weiterer Vertreter des Liefer-Zeitalters ist HelloFresh, die ihr Essen lieber kalt als heiß servieren – und in Bestandteile zerlegt. Die Berliner rund um CEO Dominik Richter zogen zum 20. September 2021 in den erweiterten DAX40 ein – fast genau zehn Jahre nach der Gründung (2011). Einer bzw. der Hauptinvestor war das Beteiligungsunternehmen Rocket Internet, die 2019 aus dem Kochbox-Versender ausstiegen. Börsengang erledigt, weg damit. Der Ausgabepreis der Aktien 2017 lag bei 10,25 Euro. Wer derzeit auf den Kurs sieht, findet einen Wert knapp unter 28 Euro. Wie bei der Konkurrenz gilt entsprechend: Könnte schlimmer sein.
Wir finden: Ist auch schlimmer, wenn die Entwicklung der letzten Monate herangezogen wird. Noch im August 2021 gab es sagenhafte 95,94 Euro (Schlusskurs) pro HelloFresh-Papier. Seither geht es steil abwärts. Tiefpunkt nicht erreicht.
Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Liefer-Unternehmen muss sich HelloFresh zwar ebenfalls mit ein paar Baustellen und einem schwierigen Markt herumschlagen, aber zumindest vieles von dem moralisch-ethischen Ungemach der Konkurrenz bleibt den Berlinern erspart (wenngleich nicht alles, was z. B. Fragen zu Müllverursachung, Qualität der Waren und Gewerkschaftsauseinandersetzungen angeht).
Resultat: Wohin es mit HelloFresh hingeht, bleibt abzuwarten.
Entwicklung der Aktienkurse
Delivery Hero | Just Eat Takeaway | HelloFresh | |
---|---|---|---|
Niedrigster Stand (2018 bis heute) | 25,25 | 16,22 | 5,97 |
Höchstand (2018 bis heute) | 145,00 | 109,90 | 95,94 |
aktuell (17.06.2022) | 34,94 | 16,676 | 27,75 |
Angaben in Euro; Stand: 17.06.2022 |
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Fazit
Die Coronakrise funktionierte wie ein Raketenantrieb am Fahrrad und beschleunigte die Entwicklung der Lieferdienste drastisch. Allerdings übertünchte diese rasende Fahrt auch die weiterhin bestehenden Probleme hinsichtlich dauerhaft gefordertem Wachstum, mangelnden Profiten sowie internen Querelen der Unternehmen. Jetzt droht die Vollbremsung mit platten Reifen. Da ist die Luft raus.
Bei Delivery Hero fehlen uns die Zukunftsvision (die nicht nur Trial-&-Error bieten sollte) und die Transparenz. Bei Lieferando schlingern die Zahlen in der gegenwärtigen Marktsituation stark und wir hätten gerne einige Bauchschmerzen hinsichtlich der Unternehmenskultur weniger. Bleibt HelloFresh, die wir für leicht unterbewertet halten – aber große Sprünge sehen wir trotzdem nicht voraus.
P.S.: Was wir in dieser Analyse nur bedingt angeschnitten haben, sind Börsen-/IPO-Kandidaten wie Flink oder Gorillas. Das letztgenannte Lieferunternehmen hatte Anfang 2022 laut Deutsche Startups bereits einen Börsengang mittels SPACs ins Auge gefasst, dann aber wieder verworfen. Im Vergleich mit den drei Liefer-Spezialisten hier, halten wir die Lebensmittel-Bringdienste für eine eher riskante Variante mit teilweise fragwürdigem Geschäftsgebaren. Zudem ist das Geschäftsmodell der 10-Minuten-Notfall-Chipstüte weder besonders nachhaltig noch zeitgemäß.
Weiterführende Informationen
Just Eat Takeaway Geschäftsberichte 2021
Delivery Hero Geschäftsberichte
HelloFresh Geschäftsbericht (PDF)
Handelsblatt – Aktionärsvertreter rechnen vor der Hauptversammlung mit Delivery Hero ab