Insolvenzen 2024: Ende oder Neustart? – Teil 2
Die Amtsgerichte vermeldeten im August 2024 insgesamt 1.764 beantragte Unternehmensinsolvenzen – ein Anstieg um 13,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Juli lag der Wert sogar bei 1.937 und einem Plus von satten 22,1 Prozent. Der Trend zu immer mehr Pleiten bzw. beantragten Insolvenzen dürfte aktuell auffällig sein. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht hingegen lautet: Nicht jede Insolvenz führt dazu, dass die Firmen komplett verschwinden. Vielfach steht die Herausforderung einer Sanierung an und es kann neu gestartet werden. Das ist immer die Hoffnung. In unserem 2. Teil der wichtigsten Insolvenzen 2024 (Stand: Dezember) haben wir Beispiele in beide Richtungen: Von Sanierungsfall bis Schlüssel umdrehen und wegwerfen.
Das Wichtigste im Überblick:
- Zulieferer in der Schieflage: Was die Energiekrise und die Autokrise verbindet
- Herbstpleiten: Depot, das „zweite SAP“ und Tupperware
- Ein Millionenspiel für den Steuerzahler: Northvolt
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Entwickung der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland
Insolvenzen 2024 – die wichtigsten Pleiten des Jahres
Juli 2024: Weltbild-Reste und Depot
Im der letzten Expertise listeten wir die Insolvenz von Weltbild. Im Juli diesen Jahres ging u. a. auch das moderne Antiquariat der Weltbild-Gruppe in die Pleite: Für Jokers wurde am 15. Juli das Insolvenzverfahren über das eigene Vermögen eröffnet. Die Läden, in denen vorwiegend Restauflagen, Sonderausgaben und Remittenden über die Theke gingen, schlossen für immer. Weitere Gesellschaften rund um Weltbild wurden zudem abgewickelt.
Bleiben wir in den Fußgängerzonen und Einkaufshallen und gehen zur Deko-Abteilung. Hier findet sich der Möbel- und Wohnaccessoireshändler Depot – dahinter steht die Gries Deco Holding GmbH, eine der größten Ketten für entsprechende Produkte in Deutschland, Österreich und der Schweiz (mehr als 500 Filialen). Jene begab sich im Juli unter den Schutzschirm, d. h. die Sanierung wurde mit Hilfe des Schutzschirmverfahrens durchgeführt. Ziel war es, so die Gries Deco Company, „das Unternehmen im Schulterschluss insbesondere mit der Vermieter- und Lieferantenbasis nachhaltig auf die neuen Marktgegebenheiten auszurichten.“ Mit neuen Marktgegebenheiten dürften die Verantwortlichen vor allem die Billig-Konkurrenz aus China, die schlechte Konsumlaune und die gestiegenen Kosten meinen. Wie hart es werden dürfte, gab Geschäftsführer Christian Gries Ende November 2024 bekannt: Jede elfte Filiale in Deutschland wird wahrscheinlich schließen, 17 haben bereits die Tore geschlossen. Übrig bleiben hierzulande 285 Läden. In Österreich sinkt die Filialzahl von 49 auf 29. Inwieweit es zu weiteren Schließungen kommt, sei noch offen. Für Mitte 2025 ist die Rückkehr zum Regelbetrieb angepeilt.
August 2024: Autoteile-Zulieferer am Ende
Hohe Energiekosten und Branchenkrise? Für den Aluminium-Druckgusshersteller ae group (aus dem thüringischen Gerstungen) bedeutete dieses unglückliche Zusammenspiel den Gang in die Insolvenz. Interessant hieran: Erst im Februar gab es einen Gesellschafterwechsel – die Alutech Holding GmbH & Co. KG übernahm das Unternehmen. Das reichte aber nicht, weshalb eine Sanierung in Eigenverantwortung angemeldet wurde – für alle vier eigenständigen Gesellschaften der Gruppe. „Die Substanz der ae group ist gut und die Produkte sind von höchster Qualität. Wir streben daher eine Sanierung des Unternehmens an und hoffen, dass wir gemeinsam mit den Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten eine gute Lösung finden können“, so der Sanierungsexperte Martin Mucha. Inwieweit die Sanierung erfolgreich verläuft, lässt sich derzeit kaum sagen.
Wie strapaziert die Zulieferer-Branche generell ist, zeigt sich daran, dass im gleichen Monat auch die Recaro Automotive GmbH (Autositzhersteller) und die Schlote GmbH & Co. KG in die Pleite schlitterten. Umsatzausfälle und Kostendruck sorgten für die jeweilige Schieflagen. Recaro stellte zwischenzeitlich die Produktion ein und mehr als die Marke wird wohl nicht übrig bleiben.
September 2024: Tech-Flop und Kult-Pleite
Das „zweite SAP“ sind sie nicht geworden: Trotz vieler Vorschusslorbeeren und einer bisweilen gut gefüllten Kasse, scheiterte in diesem Jahr das Start-up Enfore. IT-Unternehmer und „Hoffnung der Tech-Szene“ Marco Börries gründete Enfore (bzw. die NumberFour AG) 2009 mit dem Ziel, die Nr. 1 der Verkaufsplattformen für kleinere Unternehmen zu werden – vom Restaurant bis zum Modehändler. Hier gab es das volle (Software-)Programm von der Warenwirtschaft über Kasse bis Bestellwesen und Reservierungsfunktion. Haken: Das Konzept zog finanziell nicht. Den Mitarbeitern soll bereits Monate vor der Insolvenz kein Lohn mehr gezahlt worden sein und Mitte Oktober 2024 vermeldete „Gründerszene“, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund von Insolvenzverschleppung ermittelt. Der Marktdurchbruch sollte bis 2027 geschafft werden. Unsere Prognose: Das Ding ist tot.
Kommen wir von der IT-Szene zu einem Klassiker, nämlich Tupperware. Praktisch jeder hat wahrscheinlich irgendeine Stück des US-Frischhalteboxen-Herstellers im Küchenschrank – aber die Erfolgsgeschichte endete jetzt zu Beginn des Herbstes. Tupperware meldete Insolvenz an und hofft auf den Schutz durch Kapitel elf des US-Insolvenzrechts. Der Blick in die Bücher zeigt warum: Vermögenswerte: 500 Millionen US-Dollar, Schulden: Zehn Milliarden US-Dollar. Die Kreditgeber waren (und sind) entsprechend unglücklich und erheben Ansprüche auf Teile des Unternehmens. Tupperware indes will das Geschäft eigenständig weiterführen und einen Käufer suchen. Gleichzeitig gilt es, den Strukturwandel zu schaffen – vom altbackenden Dosen-Anbieter zum technologie-basierten Unternehmen. Weg von der Tupperparty, hinein in den Onlinehandel (erst 2022 schaffte es Tupperware, seine Produkte online zu verkaufen). Es bleibt anzumerken, dass Tupperware allerdings nicht erst seit ein paar Monaten krisengeschüttelt ist. Der Abschwung zieht sich seit Jahren dahin und außer einem recht regelmäßigen Personalwechsel in der Führungsetage kam dabei wenig herum. Übrigens: Auch die deutsche und die schweizer Firmentochter sind insolvent. Der Aktienkurs von Tupperware in dieser Woche – rund 99,7 Prozent unter dem Wert vor einem Jahr.
Noch eine kleine Erwähnung: „Rich“ heißt bekanntermaßen „reich“ auf englisch. Die Rich AG kam auf die spritzige Idee, sprudelnden Schaumwein aka Prosecco in Dosen zu verkaufen und engagierte It-Girl-Ikone Paris Hilton als Werbestar. Das gelang auch ganz gut. Jetzt ist die Luft aber raus und die Rich AG pleite. Cheers.
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Oktober 2024: Absturz des Senkrechtstarters
Der Staat sollte helfen, bevor der Flugtaxi-Entwickler Lilium Insolvenz in Eigenverantwortung anmeldete. Aber die Rettung (mit jeweils 50 Millionen Euro vom Bund und aus Bayern) mittels Bürgschaft platzte und der Senkrechtstarter knallte hart auf den finanziellen Grund. Das löste eine umfangreiche Diskussion über den Umgang mit Start-ups in Deutschland aus. Zwar läuft der Betrieb weiter, aber wie lange noch? Die Medien-Meldungen beinhalten momentan vorwiegend Aussagen über nervösen Lieferanten, verunsicherten Mitarbeitern und Sammelklagen aus den USA. Die Zeit läuft ab und neue Investoren sind rar.
Noch eine kleine Randnotiz: Die in Heidelberg ansässige Rhein Petroleum förderte im hessischen Riedstadt Erdöl – knapp 65 Barrel am Tag. Damit handelte es sich um das kleinste Erdölförderunternehmen in Deutschland. Im Herbst vermeldete jenes aber die Pleite, stoppte die Förderung und legte den Ausbau auf Eis. Seither wird nach einem Investor gesucht.
November 2024: Die Batterie ist leer
Im November, dem letzten Monat unseres Jahres-Insolvenz-Rückblicks, haben wir mit Northvolt noch einen Kandidaten, der eine Menge Schlagzeilen machte. Hier drehte es sich insbesondere um rund 600 Millionen Euro, die vom deutschen Staat in Form einer Wandelanleihe an das schwedische Unternehmen gingen, obwohl dieses sich bereits in wirtschaftlicher Schieflage befand. Northvolt plante einen Fabrikneubau in Schleswig-Holstein. Kurz vor Jahresende ist nun ein Sanierungsverfahren nach US-Insolvenzrecht angedacht. Ziel: Die Restrukturierung des Batterieherstellers und Weiterführung unter eigener Regie. Gelingt die Sanierung, muss das Unternehmen das Geld (plus 20 Millionen Euro Zinsen) irgendwann zurückzahlen. Wenn nicht, bleibt der Steuerzahler (zumindest größtenteils) darauf sitzen.
Abschließend blicken wir auf den Haushaltsdiscounter Kodi, der ebenfalls ein Schutzschirmverfahren eingeleitet hat. Massive Umsatzverluste und der aufreibende Kampf gegen Temu & Co. sorgten für den Gang in die Insolvenz. Neustart ungewiss.
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Der Dezember fehlt noch, da er gerade erst begonnen hat. Gegebenenfalls tragen wir entsprechende Insolvenzen per Update nach.
Weiterführende Links und Quellen: